Wissenschaftliche Anerkennung

In die Röhre gucken 
Erste HS-Forschung mit funktioneller Magnetresonanztomographie 

Regelmäßig wird ein Bedürfnis nach einem „Diagnoseverfahren“ für Hochsensibilität artikuliert, das belastbare Ergebnisse liefert. Fragebögen funktionieren mit Introspektion, weshalb Resultate ihrer Anwendung naturgemäß nur begrenzt objektivierbar sind. Neben spezifischen Merkmalen des Genotyps kommen als eindeutige Erkennungszeichen einer Hochsensiblen charakteristische Eigenschaften der Informationsverarbeitung im zentralen Nervensystem in Betracht, die mit bildgebenden Verfahren sichtbar gemacht werden können.

Eine erste Studie, in deren Rahmen das Gehirn Hochsensibler mit bildgebenden Verfahren untersucht wurde, veröffentlichte die Zeitschrift Social Cognitive and Affective Neuroscience im Jahr 2010. Die Fragestellung hatte sich dabei an einem prominenten Thema der Sozialpsychologie orientiert: der Abhängigkeit sogar basaler Wahrnehmungsprozesse vom kulturellen Kontext der Wahrnehmenden. Gern kontrastiert werden eher individualistisch (USA) und eher kollektivistisch (Asien) orientierte Gesellschaften, wobei sich zeigt, dass je nach Prägung unterschiedliche Aufgabentypen „anstrengender“ sind – je nachdem, inwieweit ein Zusammenhang zu berücksichtigen ist.

Die Frage der in Rede stehenden Studie war nun: Gilt dies auch für Hochsensible? Zwanzig Personen wurden mit Arons Fragebogen auf Hochsensibilität getestet; die Hälfte relativ „frisch“ aus Asien, die andere Amerikaner mit europäischen Wurzeln. Die Probanden mussten in einem funktionellen Magnetresonanztomographen Fragen zur Länge von Linien auf Bildern beantworten, wobei die Fragestellungen teilweise die Berücksichtigung der Einbettung, des Hintergrundes der Linie, verlangten, teilweise nicht.

Die funktionale Magnetresonanztomographie erlaubt die Bestimmung aktiver Gehirnregionen. Das funktioniert deshalb, weil „frisches“ Blut (oxygeniert) andere magnetische Eigenschaften zeitigt als „verbrauchtes“ Blut (desoxygeniert). In Gehirnregionen mit stärkerer Aktivität ist nun aufgrund stärkeren Blutflusses mehr „frisches“ Blut vorhanden, was sich in entsprechenden Messergebnissen widerspiegelt.

Forschungen der Vergangenheit hatten gezeigt, dass die Lösung von Aufgaben, die der kulturellen Prägung des jeweiligen Probanden entgegenkamen, auch sichtbar geringere Hirnaktivitäten erforderten: Dass die Aufgaben einfacher waren als für einen Probanden mit anderen gesellschaftlichen Wurzeln, zeigte sich auch im fMRT. Die gemessenen Aktivitäten konzentrierten sich dabei auf den präfontalen Cortex und den Parietallappen, die bei der Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit helfen.

Ergebnis der Studie war nun, dass die Gehirnaktivitäten der hochsensiblen Probanden weniger vom kulturellen Kontext abhängig waren als jene der nicht hochsensiblen Personen. Präziser gesagt: Hochsensible Probanden aus kollektivistisch orientierten Gesellschaften benötigten deutlich mehr „Aufwand“ bei der Lösung von Aufgaben, die (eigentlich) auf „ihre“ Wurzeln zugeschnitten waren, als nicht hochsensible Probanden aus besagtem kulturellen Kontext.

Die Autoren vermuten, dieses Ergebnis erkläre sich dadurch, dass Hochsensible allgemein Wertungen in stärkerem Maße auf Basis des tatsächlichen Sinneseindruckes tätigten. Ganz allgemein sehen sie gewisse kulturunabhängige Aktivitätsbilder bei Hochsensiblen, was sie – so versteht sie der Autor dieser Zeilen – zu der Vermutung führt, die Hirnaktivität von HSP bei der Auswertung von Sinneseindrücken sei nicht von der Einstellung der Gesellschaft (Wertschätzung, Ablehnung etc.) zu höherer Sensibilität abhängig. In der Tat wirken die konkreten Messwerte (auf den psychologischen Laien) erstaunlich homogen.

Im Rahmen einer zweiten Studie, erschienen in derselben Zeitschrift ein Jahr später, ging es explizit(er) um den Versuch, Unterschiede in der Hirnfunktion Hochsensibler sichtbar zu machen. Diesmal waren zwölf Probanden mit dabei, allesamt Studenten an Pekinger Universitäten. Auch diese Personen füllten Arons Fragebogen aus. Im Tomographen hatten sie diesmal die Aufgabe, Bilderpaare zu vergleichen: Die Bilder waren weitgehend identisch; bei manchen Paaren wurde aber in das zweite Bild eine Änderung eingebaut. Gab’s eine Änderung, war ein Knopf zu drücken.

Bei hochsensiblen Probanden zeigte sich zunächst eine längere Antwortzeit im Falle von kleinen, nicht ganz so offensichtlichen Änderungen in den Bildern. Organisch waren deutlich höhere Aktivitäten in Gehirnregionen festzustellen, von denen angenommen wird, dass sie für die Steuerung optischer Aufmerksamkeit verantwortlich seien. Konkret zeitigten Hochsensible signifikant höhere Hirnaktivität im Schläfenlappen, in der Vormauer und im Kleinhirn. Auch der Parietallappen fiel wieder auf.

Die Autoren interpretieren diese Befunde als Zeichen für eine höhere Aufmerksamkeit der hochsensiblen Probanden in Bezug auf subtile Details der wahrgenommenen Szene. Höhere Genauigkeit der Wahrnehmung, also zutreffendere Ergebnisse, konnten in der Studie allerdings nicht nachgewiesen werden. Man vermutet, hierfür sei das Datenmaterial schlicht zu dünn gewesen.

Der psychologische Laie wundert sich bei der Lektüre der Studien über die anscheinend recht geringe Probandenzahl. Sie wird damit zu tun haben, dass Forschung mit bildgebenden Verfahren viel Geld kostet. Erfreulich ist, dass die Vermutung, die subjektiv empfundene besondere Form der Wahrnehmung habe auch ein relativ leicht nachweisbares neurologisches Korrelat, eher bestätigt denn widerlegt wird. Vermutlich wissen wir aber trotzdem auf absehbare Zeit zu wenig über die Funktionsweise des hochsensiblen Nervensystems (und des Nervensystems überhaupt), als dass bildgebende Verfahren für den zweifelnden Hochsensiblen Klarheit schaffen könnten.

Links zu den Volltexten und bibliographische Angaben:
– Aron, A., Ketay, S., Hedden, T., Aron, E. N., Markus, H. R., & Gabrieli, J. D. E. (2010). Temperament trait of sensory processing sensitivity moderates cultural differences in neural response. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 5, 219-226.
– Jagiellowicz, J., Xu, X., Aron, A., Aron, E., Cao, G,, Feng, T., & Weng, X. (2010) The trait of sensory processing sensitivity and neural responses to changes in visual scenes. Social Cognitive and Affective Neuroscience, Advance Access March 4, 2010.

Diese Studien sind auch Gegenstand eines Artikels zum Thema Hochsensibilität in der Ausgabe Mai 2013 der Zeitschrift Bild der Wissenschaft:
http://www.wissenschaft.de/archiv/-/journal_content/56/12054/809882/%3CHeadline%22-type%3D%22text%22-index-type%3D%22%22-instance-id%3D%2205gFqeT6%22%3E-Zu-viel-Welt-fürs-Gehirn/.


Autor: Michael Jack
Erschienen in Intensity 6, Juli 2013:
http://www.hochsensibel.org/dokumente/Intensity/Intensity06.pdf.